22. Mai 2009

Längs und Quer spannen den menschlichen Kosmos auf: Nord-Süd- und Ost-
West-Achse,
Liegen und Stehen, das Kreuz Christi, die Vierteilung der Stadt
(Stadtviertel) und das Längs- oder Querformat in der Kunst.
Innerhalb dieser kosmischen, personalen, religiösen und zivilen
Koordinaten ist der Mensch nicht in der Balance.
Er hat zwei unterschiedliche Gehirnhälften, seine Organe sind nicht
symmetrisch,
ein Fuß und eine Hand ist überlegen und von seinen paarig
angeordneten Sinnesorganen ist immer eines dominant.
Hinzu kommen individuelle Vermögen wie Wissen, Fertigkeit der Hände
sowie die Verfassung von Atmung und Muskulatur.
Darin liegen die Koordinaten, nach denen der Mensch gestaltet. Das
ist die Norm des Einzelnen, deshalb nimmt er seine Dis-Balancen als
Balance wahr.
Und das ist das innere Design, nach dem der Mensch das äußere Design
– Malerei, Literatur, Design, Architektur, Wissenschaft – hervorbringt.
Quer- oder Längsformat ist eine Sache des Sujets und des persönlichen
Standpunkts, und jede Koordinate hat einen eigenen Wert
und eine spezifische Relation zu Balance, Dis-Balance und Schönheit.
Vor aller Kunstbetrachtung bedeutet Ästhetik Wahrnehmung. Wenn es
einem Einzelnen gelingt,
seine persönliche als Balance erlebte Dis-Balance mit der Balance
seiner Kultur zu verbinden –
etwas Allgemeines und Politisches hervorzubringen –, stellt sich eine
Ästhetik (Wahrnehmung) der Balance ein – eine inhaltliche Schönheit.
Dr. Hajo Eickhoff
Studium der Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte in Freiburg,
Aachen und Berlin.
Autor von Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte des Sitzens
(1993) und von Form Ethik (2006).
Verfasst Texte zur Geschichte und Theorie der Kultur, zum inneren
Design des Menschen und zur Literatur
und arbeitet als Autor, Berater und Ausstellungsmacher in Berlin.