15. Dezember 2012 — 26. Januar 2013

6 aus 110
Sonja Alhäuser
Varda Getzow
Rita Hensen
Keiko Kimoto
Anja Claudia Pentrop
Hansjörg Schneider
6 aus 110
Wer 6 aus 96 besucht hat, weiß, worum es hier geht: die Begegnung künstlerischer Positionen jenseits gängiger Auswahlkriterien. ...mehr Text
6 aus 110
Wer 6 aus 96 besucht hat, weiß, worum es hier geht: die Begegnung künstlerischer Positionen jenseits gängiger Auswahlkriterien.Im April 2008 eröffnete die Galerie oqbo mit paperfile #1 und legte den Grundstein für ein künstlerisches Schrankarchiv. 15 Künstler und Künstlerinnen wurden eingeladen, eine Mappe mit Originalen in einem Papierschrank bereitzulegen, der seitdem dem Publikum zur sorgsamen Selbstbedienung zur Verfügung steht. paperfile #8 fand im Sommer 2012 statt, der Schrank zählt mittlerweile 110 Mappen. Von klassischer Malerei über Zeichnung und Fotografie bis zu konzeptionellen Positionen ist alles vertreten.
Nicht immer stehen die Papierarbeiten im Zentrum der künstlerischen Produktion - hinter jeder Mappe steht ein umfassendes Werk.
6 aus 110 ist die zweite Ausgabe der Idee, den künstlerischen Positionen zu den Arbeiten im Schrank mehr Raum zu geben. oqbo kuratiert auch diese Ausstellung, indem jedes Mitglied einen Künstler einlädt und mit ihm Arbeiten auswählt. Wieder begegnen sich 6 Positionen, ohne füreinander ausgesucht zu sein. Die Hängung ist dann wie jeder Ausstellungsaufbau schon ein Kommentar. Die Überlegungen zu wohin und mit wem bringen Verwandtschaften und polare Positionen ins Bewusstsein und ans Licht. 6 aus 110 ist insofern auch ein Experiment, eine Untersuchung über die Rezeption von Kunst, über Wahrnehmungsgewohnheiten, Verabredungen, Prägungen. Die Künstler vertrauen ihre Arbeiten dieser Ausstellung an, wir trauen den Arbeiten diese Begegnungen zu.
Varda Getzow nutzt die weiche, fallende Eigenschaft von Textilien, von Stoffen, Kleidern und Nylonstrümpfen, um Landschaften und Situationen skulptural darzustellen, wobei sich die monumentale Ausdehnung der Installationen an der immanenten Veränderlichkeit des Materials reibt. Amorphe, beinahe in Bewegung scheinende Ströme von Farbe und Form, denn auch die Farbe ist hier enorm wichtig, besetzen große Areale der Ausstellungsräume. Ihre großformatigen Aquarelle könnten Abbilder solcher Farb- und Bewegungssituationen sein.

Rita Hensen wählt dagegen Holz, um damit Raum einzunehmen. Ihre Anordnungen sind jedoch gezielter, gezirkelter, linear statt amorph und scheinbar logischer. Aber ist das so? Es sind geometrische Ringe, übereinanderliegend, einander schneidend, verschattend, beschattend. Eine entspannte Ordnung scheint hier zu herrschen, als hätte jemand Gummiringe aus der Schublade an einen Haken gehängt.

Keiko Kimoto beobachtet ihre Umgebung genau und setzt gezielt die gesehenen Gesten in pure Energie um. Formen und Farben sind sparsam und deutlich, es gibt keinen Nebel und kein vielleicht, aber jede Menge freien Raum zwischen den harten Setzungen, so dass die Arbeiten deswegen doch in einer Offenheit schweben, die das Herz leicht macht. Ihre Wurzeln stecken in der traditionellen japanischen Tuschmalerei, die sie modern und neugierig fortführt.

Sven Grünwitzky schreibt zu Sonja Alhäuser: „In Kühlvitrinen werden sie gelagert: die Butterkörper und Margarinenleiber. Gut, schon beinahe grell ausgeleuchtet hinter Glas. Lehnendes Hallo und Das kleine Willkommen sind ihre Namen. Bezaubernd schön in ihrer buttrigen Nacktheit bleibt ihr gehärtetes Fleisch dem Zugriff und Tastsinn entzogen. Die von Sonja Alhäuser aus dem fettigen Grundnahrungsstoff geformten Geschöpfe sind gefangen in der Blickfalle ihrer Schaukästen. Unbekümmert, teils übermütig und wie trunken von ihrem selbstbezüglichen Spiel toben und tollen sie in barocker Paraphrase durch die Enge der gläsernen Zellen.”

Anja Claudia Pentrop hat schwarzen Humor. Mitleid und Rührung und vielleicht auch Schadenfreude begleiten den Betrachter der skurrilen Situationen, die auf ihren Zeichnungen im Schrank festgehalten sind. Comiczeichner standen Pate, aber es bleibt offen, welche Geschichte welchen Ausgang nimmt. Tragikkomik gibt es auch in ihrem weiteren Werk. In Installationen hat auch Pentrop mit textilem Material fallenartige Situationen geschaffen oder das Denken reflektiert, indem sie auf handwerkliche Techniken zurückgriff, die nicht zum Sujet passen. Häkelarbeiten behandeln beispielsweise das Thema Malerei.

Hansjörg Schneider’s Zeichnung ist ein feines Relief. In die abgerissenen Partien der Papieroberfläche wurde Graphitpulver in die offene Materialstruktur gerieben. Die unbehandelten Papierflächen formen eine konstruktive Figur vor bleigrauem Grund. Maelström XL1 ist die Transfiguration“ eines konstruktivistischen Bauwerks. Das Motiv basiert auf einer untersichtigen Perspektive des Moskauer Radioturmes, den Wladimir Schuchow 1919 für die Komintern- Radiostation plante und ausführte. In Zusammenarbeit mit Daniel Lordick wurde der Turm dreidimensional nachkonstruiert und einer virtuellen Drehung unterzogen. Das gradlinige Gefüge wurde so in einen Strudel transformiert. Es entsteht die Illusion eines offenen Trichters. Doch kann diese Sicht auch umschlagen, so dass man auf die Außenseite des Körpers zu blicken meint. ...weniger Text