Christian Bilger

Beschleuniger

05. - 28. September 2008


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beschleuniger 2008 from Christian Bilger on Vimeo.

Christian Bilger beschäftigt sich seit Jahren mit installativen bildhauerischen Arbeiten, kinetischen, raumgreifenden Ensembles. Seinen Zeichnungen wohnt ebenfalls der Moment der Bewegung inne. Er entwickelt und baut Zeichenmaschinen, die dynamische Strukturen hervorbringen. Die Hamburger Griffelkunst hat ihn dafür in einer Ausstellung mit einer Hervorhebung gewürdigt. Christian Bilger lebt in Berlin. In der klassischen Holzbildhauerei ausgebildet, studierte er in Berlin Freie Kunst.
Seit 1986 zeigt er seine Arbeiten im In- und Ausland. Anlässlich der Ausstellung NI CHI GUO LE MA im Shenzen Art Museum 1996 in der VR China schreibt der Kunsthistoriker Lu Huong zu den mechanischen Zeichentischen von Bilger:
Die Zeichenmaschine steht als Symbol für die westliche Kultur. Sie traktiert ununterbrochen das Reispapier, das als Symbol für die chinesische Kultur steht. Erstere als die aktive, aggressive, letztere als diejenige, die aushält und hinnimmt. Die Gestalt der zweiten resultiert aus der Aktion der ersten. Diese Sichtweise jedenfalls spiegelt den Lauf der Geschichte in diesem Jahrhundert wider, reflektiert die Geschichte der Unterdrückung, wie sie in unserem Jahrhundert stattfand.
In der Galerie oqbo zeigt Bilger eine Art mechanischen Tisch. Hier werden aufgereihte Weingläser traktiert, in Schwingung versetzt, so dass die in ihnen liegenden Stahlkugeln zentrifugal beschleunigt werden. Dies hat auch einen hörbaren Reiz, der von harmonisch bis gequält reicht. Es sind die Brüche, die Bilger interessieren, ebenso wie großer Aufwand für wenig Geschehen. Neue zeichnerische Arbeiten begleiten die kinetische Inszenierung. Beschleunigt wurde hier der Stift, zu sehen sind die ästhetischen Spuren.


Muster

Jemand erzählte mir einmal, dass Menschen im Durchschnitt 7 Wege haben, wenn sie sich vom einen zum anderen Ort begeben. Sie nehmen den immer gleichen Weg, wenn sie zur Arbeit gehen, immer denselben Weg, wenn sie zum Sport gehen und auch wenn sie Freunde besuchen, wählen sie immer denselben Weg. Ich bin davon selbst auch betroffen.
Ich meine, immer den kürzesten Weg nehmen zu müssen, um so schnell wie möglich zu sein. Das sind Routen, die ich im Laufe der Jahre perfektioniert habe. Die schönste Route, die ich allerdings kenne, ist die, wenn die Zeit stillsteht. Auf jeder Uhr, die mir begegnet, ist es immer gleich spät. Die Uhren müssen von jemandem gleichgeschaltet worden sein, der vergaß, dass er Zeit braucht, um sich von der einen Uhr zur nächsten zu bewegen. Als ich gerade von dieser sich einschränkenden Art und Weise gehört hatte, wie sich Menschen fortbewegen, fing ich an, andere Wege zu suchen. Es taten sich mir breite Alleen mit Bäumen und schöne Gebäude auf, die ich bis dato nicht gesehen hatte. Ich entdeckte einen Platz mit einem alten Badehaus und ein Theater ganz in meiner Nähe. Aber bald schon überwogen praktische Zwänge und überlagerten das Bedürfnis, mich von festen Gewohnheiten zu befreien. Nun, dachte ich, ein Besuch einer anderen Stadt, könnte eine gute Gelegenheit bieten, dieses Muster zu durchbrechen. Allerdings, merkte ich, als ich neulich in Berlin war, dass ich schon innerhalb weniger Tage eine feste Route hatte, um von meinem Logierort zur U-Bahnhaltestelle zu gehen. Ich ging täglich denselben Weg, in dasselbe Café, um dort immer dasselbe Frühstück zu bestellen. Als ich mich selbst zwang, mein gewohntes Muster zu durchbrechen, und statt zum Prenzlauerberg zum Wedding ging, sah ich in der Galerie “oqbo“ eine Installation von Christian Bilger (geb.1956 in Tuttlingen).
Elf Weingläser stehen auf einem hohen, schmalen mit einer weißen Tischdecke bedecktem Tisch. In jedem Glas liegt eine Stahlkugel; alle paar Minuten wird der Tisch mittels einer kleinen Maschine, die an der Schmalseite des Tisches befestigt ist, hin- und hergeschüttelt. Wenn die Bewegung zur Ruhe kommt und der Tisch wieder still steht, rollen die Kugeln auf den Glasboden hin und her und verursachen ein klirrendes rollendes Geräusch.
An der Wand hängen Zeichnungen des Künstlers: Studien, bei denen er mittels einer von ihm selbstgebauten Zeichenmaschine versucht hat, die Bahnen die die Kugeln zurücklegen, aufzuzeichnen. Wenn man die Reihe der Linienzeichnung betrachtet, scheint dies ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Die Zeichnungen versinnbildlichen die Suche nach einem nicht zu übersehendem Muster. Die blauen Linien verlaufen über einen imaginären Glasboden, weichen aus und stottern mit größtem Vergnügen über das Papier. Die Zeichenserie gibt uns eine Vorstellung vom menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit und zeigt dabei gerade die Schönheit dessen, was nicht steuerbar ist. Als ich die Galerie verließ, überlegte ich, ob ich nicht meinen Stadtplan von Berlin wegwerfen sollte. Was ich wohl auf einem nicht geplanten Gang durch die Stadt erleben würde? Nachdem ich noch einmal schnell nachgeschaut hatte, wie ich zu meinem Logierort zurückkäme, habe ich den Plan weggeschmissen. Ich sah jeden Schritt, den ich machte, sich verwandeln in eine dünne, blaue Linie. Ab und zu machte ich einmal einen Schritt zur Seite, um die Linie stocken zu lassen. Die Menschen, die mir begegneten, waren mit ihren eigenen Wegen zugange. Glaskugeln klirrten in meinem Kopf während ich meine Zeichnungen ablief und einen neuen Plan von Berlin skizzierte.

Maria Barnas

Erschienen am: 26. September 2008 im NRC Handelsblad, Niederlande.