Der Titel BERLIN – NEW YORK lässt vermuten, dass die Ausstellung einen Vergleich der beiden Städte anstrebt. Dem ist aber nicht so.
Die üblichen Vorstellungen von Berlin und New York als Großstädte, kulturelle Zentren werden nicht erfüllt. Die sozialen Milieus, die unterschiedlichen Szenegruppen, hippe und moderne Menschen, Hoch- und Subkultur, Armut und Reichtum, alles das, suchen wir in der Ausstellung vergeblich.
Auch die zu erwartenden, beeindruckenden Bilder von monumentaler Architektur werden nicht gezeigt. Diese Ausstellung irritiert, vor allem diejenigen, die beim Klang der beiden Städtenamen an ein pulsierendes, urbanes Leben und/oder an gigantische Gebäude denken.
Was wird stattdessen gezeigt?
Die in New York und Berlin lebende Künstlerin
Bettina Blohm präsentiert Landschaften, eine in Linie gehängte Reihe kleinformatiger Farbstiftzeichnungen.
Es sind Landschaften, in ihren wesentlichen Strukturen und Farben reduziert, und vor Ort gezeichnet. Die großartige Natur der Catskills im Staat New York, das bekannte und beliebte Ausflugsgebiet, nordwestlich der großen Stadt, beeindruckt bei Bettina Blohm unspektakulär im kleinen Format.
Im Kontrast zu diesen farbigen Zeichnungen von Bettina Blohm wirkt die mehrteilige Komposition aus Stadtbildern, geografischen Fragmenten und Landschaften des Künstlers
Bogdan Hoffmann in schwarz/weiss/grau. Ausgehend von einer Raumecke hängen unterschiedlich große Kaltnadelradierungen und Aquatinten als Hoch- und Querformate.
Der touristische Blick auf Berlin und New York wird in dieser Gruppe von kombinierten Werken zwar erfüllt, bekannte Gebäude, Straßen und Plätze sind zu sehen, aber dieser Blick wird in anderen Stadtansichten schon wieder gebrochen. Unsicherheiten über das Bekannte, das Spezifische der Städte kommen auf.
Der Werkkomplex von Bogdan Hoffmann spielt mit dem Empfinden für Zuordnungen und Ordnungen. Orientierungen, welche durch die Orte üblicherweise gegeben werden, verlieren sich nicht selten wieder.
Im hinteren Galerieraum verschmelzen die äußere und die innere Welt in einer großformatigen Bleistiftzeichnung der in Berlin lebenden Künstlerin Pia Linz.
Mit Fussschritten hat
Pia Linz ihre Wohnung in der Schillerpromenade, Berlin – Neukölln, vermessen. Anhand dieser Messungen webt sie mithilfe eines Koordinatensystems den Plan ihrer Wohnung.
Die Grundflächen der einzelnen Räume erweitert sie dabei um die geschätzte Wandhöhe. Alle Teile, Objekte der Räume zeichnet sie akribisch auf, Raum für Raum, es entsteht eine selbstverständlich wirkende Einheit, eine Anmutung einer perspektivischen Aufsicht.
Pia Linz ist bekannt für ihre Ortsbezogenen Zeichnungsprojekte, in denen sie sich intensiv mit dem Phänomen der individuellen Wahrnehmung von Welt und seine Umsetzung ins Bild beschäftigt.
Mit dem Schriftzug und niemand wohnt im bindestrich bezieht sich der international bekannte Konzeptkünstler
Luis Camnitzer ganz konkret und auf den im Ausstellungstitel BERLIN – NEW YORK ein-gesetzten Bindestrich.
Der Bindestrich setzt im Titel die beiden Städtenamen in einen gedanklichen Zusammenhang. Er ist sozusagen ein Gedankenstrich, auf den Luis Camnitzer ironisch anspielt und ein Nachdenken hervorruft.
Die Treppe führt in den unteren Ausstellungsraum der Galerie, es ist ein Kellerraum. Dort, im Keller, überraschend zu sehen, einige Himmelstücke, leicht bewölkt angeordnet, von der Zeichnerin
Nanne Meyer.
Gleich daneben befindet sich eine Kartografik, die eine, ebenfalls von Nanne Meyer, überzeichnete alte Gebietskarte der Uckermark' schen Seenplatte ist. Ist mit dem aus mehreren, kleinen Zeichnungen geschaffenen Himmel möglicherweise der Himmel über Berlin gemeint? Vielen fällt in diesem Zusammenhang der bekannte, gleichnamige Film von Wim Wenders aus dem Jahre 1987 ein. Ist es eine humorvolle Anspielung auf diesen Film oder eher eine zufällige Assoziation?
Mit Wort-Assoziationen geht es weiter, denn die mit einem Oilstick entstandenen Zeichnungen sind mit gedruckten, winzigen Worten collagiert. Hier eine Kostprobe von den Worten/ Wortreihen aus den 26 Wolken:
Glas und Turm, Feder Locke Lied, Schlitten Schatten Schaukel Schürze, Wunsch violett, Text Spiel Spiegel.
Von diesen assoziativreichem Himmel geht es weiter zu drei s/w Doppelfotografien von Hochhausfassaden, die die Künstlerin
Eva-Maria Schön gemacht hat.
Zwei jeweils gleiche, kleinformatige Fotografien zeigen die in Wirklichkeit monumentalen Gebäudefassaden. Die Strukturen der Architektur sind deutlich auf den Fotos zu erkennen, allerdings verdeckt ein einfacher Pinselstrich Fassendenteile und legt gleichzeitig andere frei. Mit dem Pinsel wechselte Eva-Maria Schön die Richtung und zog die dünne Farbe von unten nach oben, schiebend und zitternd.
Die Häuser werden in Bewegung gehalten. Der Pinsel behält seine Grösse 1:1, verkürzt sich nicht perspektivisch, sondern hüllt die Häuser in einem leichten Mantel. Wie im Dunst verlängern sich die Häuserfronten nach oben zum imaginären Fluchtpunkt.
Die Häuser scheinen durch die Pinselstruktur sich zu verflüssigen. Der gegenwärtige Pinselstrich liegt über der vergangenen Fotografie. Wo stehen diese Häuser, in Berlin oder New York oder sogar in einer ganz anderen Stadt?
Eindeutiger ist dagegen das Spiegelstereoskop von
Folke Hanfeld. Das Stereofoto ist vom Hochhaus des Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße / Ecke Planckstraße in Berlin mit Blick auf die Museumsinsel aufgenommen.
Die Stereoskopie ist die Wiedergabe von Bildern mit einem räumlichen Eindruck von Tiefe, die physikalisch nicht vorhanden ist. In diesem Fall verwendet Folke Hanfeld, der sich künstlerisch der räumlichen Wahrnehmung widmet, einen verspiegelten Körper.
BERLIN – NEW YORK ist eine Ausstellung frei für Assoziationen über Orte, Lebensräume, Strukturen im Gedanken- und Klangraum der beiden Städtenamen und auf dem Bindestrich zwischen ihnen.
Uwe Mokry
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