15. Juni 2011
Gerrit Confurius, geboren 1946 in Lübeck, studierte u. a. Germanistik in Hamburg, Wien und München. Nach einer Tätigkeit als Lektor bei Greno
war er Redakteur der ›Bauwelt‹; dann Chefredakteur von ›Daidalos‹. Zuletzt erschienen: ›Der Pinocchio-Effekt‹.
Sobald der Mensch in Extremsituationen auf sich selbst zurückgeworfen wird, bleibt nur das Ich mit seiner unbedingten Selbstbehauptung als Konstante.
Confurius legt diesen Ichzwang bloß und plädiert für eine Sozial- und Ideengeschichte, mit der eine Umwertung des hierarchischen Verhältnisses
von Mythos und Aufklärung einhergeht: Mythologie macht Ohnmacht lebbar, Schwäche eingestehbar, das Peinliche hoffähig, die Niederlage
sprach- und diskursfähig, Scham und Angst artikulierbar.
(...) Die Demonstration absoluter, unausweichlicher Macht setzt in dem Menschen, der von ihr beindruckt und bedrängt wird, einen Prozeß in Gang, dessen er sich selbst nicht vollständig bewußt ist und dessen er sich auch nicht bewußt werden darf. Je stärker die Ohnmacht und je mehr Terrain an Welt oder Realität in der fraglichen Situation verloren geht, um die Selbstachtung zu wahren, desto stärker muß dieser Mechanismus wirken. Im Prozeß der Aufblähung des Ich auf Kosten von Welt wird die Person zerrieben und sieht sie sich mit ihrer uneinholbaren Selbstfremdheit konfrontiert. Dieser Prozeß macht sich nun aber nicht auf Kosten des Ich und seiner als normal erachteten Stärke geltend, sondern er ist die Wirkungsweise des Ich selbst. Ich nenne ihn daher "Ichzwang" (…) Wir müßten das Ich als eine Kippfigur erkennen, als etwas, das von dem einsinnigen Normalbetrieb auf paradoxes Notprogramm umschaltet, wenn dies aus zwingenden Gründen notwendig wird, als etwas, das von einer Fähigkeit zu einem Zwang wird, ohne sein Wesen geändert zu haben: Wir müßten das Kippen des Souveränitäts-Ich in einen Ich-Zwang als Doppelnatur des Ich selbst einräumen. (…)